Vespa: Ein Augenschein bei Piaggio in Pontedera (2024)

Die Design-Ikone ist gefragt wie nie, die Produktion des legendären Scooters läuft auf Hochtouren. Doch das war nicht immer so. Ein Besuch im toskanischen Stammwerk der Herstellerfirma Piaggio.

Gerhard Bläske, Pontedera

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Vespa: Ein Augenschein bei Piaggio in Pontedera (1)

Wer mit dem Zug von Pisa in Pontedera ankommt, kann entweder links der Bahngeleise in die 30000-Einwohner-Stadt abbiegen. Oder er wendet sich nach rechts, wo sich über mehr als anderthalb Kilometer die Fabrikanlagen des Zweirad-Herstellers Piaggio erstrecken. Piaggio ist Pontedera, und Pontedera ist Piaggio – in guten wie in schlechten Zeiten.

Seit 1946 wird hier in der Toskana die Vespa gefertigt. Doch vor etwa hundert Jahren hat Piaggio mit der Herstellung von Flugzeugen und Motoren begonnen und später auch Kampfbomber gefertigt. Das war der Grund dafür, dass die Amerikaner die Stadt und das Werk im Zweiten Weltkrieg grossflächig bombardiert haben.

Wespen, Kleinwagen, Bienen

Dennoch wurde schon bald wieder produziert. Da Piaggio keine Flugzeuge mehr bauen durfte, setzte der Firmenchef Enrico Piaggio auf für jedermann erschwingliche Zweiräder. So entstand die Vespa, der Motorroller mit der Form einer Wespe. Auch ein Intermezzo mit Kleinwagen gab es: 1957 bis 1961 liefen in Frankreich Autos vom Band. Und bis heute im Sortiment ist der kleine, dreirädrige Transporter «Ape» (Biene). An die Luftfahrt-Vergangenheit erinnert in Pontedera nur noch die Strasse vor der Fabrik: Via Hangar.

NZZ / dba.

Das Werk – der grösste metallverarbeitende Betrieb der Toskana – ist quasi eine Stadt neben der Stadt, etwa so gross wie Pontedera selbst, eine Art kleines Wolfsburg, wo sich die VW-Produktionsanlagen jenseits des Mittellandkanals erstrecken. Entsprechend einschneidend war es für den Ort, als im März und April vergangenen Jahres die Vespa-Produktion wegen der Pandemie während mehrerer Wochen stillstand.

Die Produktion läuft rund

Doch heute ist das Bild ein völlig anderes. Die Fabrik kommt kaum nach mit der Fertigung. «Die grosse Nachfrage nach unseren Produkten ist eine echte Herausforderung», sagt Alessandro Salvadori als er durch den Betrieb führt. «Aber wir freuen uns, dass es so gut läuft.» Der Verantwortliche für die Scooter-Produktion hat alle Hände voll zu tun.

Es wird in drei Schichten gearbeitet. Gerade ist eine neue vollautomatische Lackieranlage in Betrieb gegangen, in der Roboterarme Farbe auf die Blechteile sprühen. In einer anderen Halle werden in sechs parallelen Reihen Motoren und andere Bauteile auf die verschiedenen Modellvarianten montiert. Am Ende wird jeder einzelne Scooter nochmals von Hand kontrolliert.

Piaggio ist der grösste Motorrad- und Rollerhersteller Europas, der neben der Vespa und den anderen Rollern der Marke Piaggio in Pontedera auch die Motorradmarke Gilera und die Kleintransporter Porter sowie die Ape fertigt. In einem anderen Werk am Comersee wird die legendäre Motorradmarke Moto Guzzi, und in der Nähe von Venedig werden Aprilia-Motorräder produziert.

In der Corona-Krise sind viele Menschen auf Zweiräder umgestiegen aus Angst, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Die Piaggio-Verkäufe sind im ersten Quartal um 35% auf 103200 Einheiten gewachsen, der Umsatz um 23,5% auf 385Mio.€, und der Nettogewinn hat sich auf 11,1Mio.€ verdreifacht. Das spiegelt sich auch im Börsenkurs wider: Die Piaggio-Aktie ist seit dem Tiefpunkt der Krise im Frühjahr 2020 um 126% gestiegen.

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Intermezzo mit den Agnellis

«Fast alle, die ich kenne, haben in irgendeiner Weise mit dem Unternehmen zu tun», sagt Alessandro Salvadori, der aus Pontedera stammt. Direkt oder indirekt lebt ein grosser Teil der Bevölkerung von dem Zweiradriesen: Sei es als einer der rund 3300 Beschäftigten am Standort, als Mitarbeiter eines Zulieferers, als Beschäftigter eines Restaurants oder eines Geschäfts im Ort. Auch ein Piaggio-Museum und Strassennamen wie die Piazza Corradino D’Ascanio (benannt nach dem Vespa-Erfinder), die Viale Rinaldo Piaggio (der Firmengründer) oder der Largo Giovanni Alberto («Giovannino») Agnelli zeugen von der Präsenz des Unternehmens.

Apropos Agnelli: Der Name der Fiat-Dynastie ist eng mit einer Phase der Firmengeschichte verbunden – und zwar auch mit einer Zeit, als es bei Piaggio einmal nicht so rund lief wie heute. Japanische Hersteller jagten den Italienern Marktanteile ab, die Firma steckte in einer tiefen Krise. Da übernahm in den 1990er Jahren Giovanni Alberto («Giovannino») Agnelli das Ruder. Er war der Sohn von Umberto Agnelli und Enrico Piaggios Stieftochter Antonella.

Giovannino brachte Piaggio wieder auf Kurs und wurde schon als Nachfolger seines Onkels, des Fiat-Patrons Gianni Agnelli, gehandelt. Als der junge Manager jedoch 1997 an Krebs starb, verloren die Agnellis die Lust an der Firma und verkauften sie an die Deutsche Morgan Grenfell, eine Deutsche-Bank-Tochter, die sie 2003 an Roberto Colannino abgab.

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Ein schillernder Mehrheitsaktionär

Damit geriet Piaggio unter die Kontrolle eines Mannes, der in Italien zeitweise als Wunder-Manager galt. Nach der Sanierung des Büromaschinenkonzerns Olivetti hatte er in einer umstrittenen Transaktion eine Mehrheit von Telecom Italia übernommen und später wieder verkauft. Mit einem Teil der Erlöse sicherte sich Colaninno die Mehrheit an Piaggio und brachte das Unternehmen an die Börse. Colannino, der in seiner Geburtsstadt Mantua lebt, ist immer noch Präsident und CEO.

Auf die Frage nach der Zukunft des Stammwerks lässt sich Colannino entlocken, dass es wohl noch um die 60 Software- und Robotik-Ingenieure brauchen werde. «Der Standort Pontedera ist damit auch für junge Leute attraktiv geworden», lässt er ausrichten. Piaggio hat wegen der grossen Nachfrage schon 400 Saisonarbeitskräfte in Pontedera eingestellt. Ein neues Zentrum der E-Mobilität zur Produktion elektrischer Zweiräder soll dafür sorgen, dass sich der Standort weiterentwickelt. Das wird man in der Stadt gerne hören. Denn solange es Piaggio gut geht, geht es auch Pontedera gut.

Mit Audrey Hepburn und Gregory Peck im Film «Ein Herz und eine Krone» (Originaltitel «Roman Holiday») von 1953 wurde die Vespa als cooles Fortbewegungsmittel weltberühmt.

Imago

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